Freitag, 21. Mai 2010

Unsere Westerwelle für Oslo

Für all die fremdgesteuerten Schlager- und Popkonsumenten, die ihren Geschmack allein aus den Medien beziehen, ist der folgende "Spiegel"- Beitrag gewissermaßen ein Spiegel.
Ob diese sich darin erkennen können, sei dahingestellt.
Der Artikel beschreibt jedenfalls auf ironischer Art und Weise die Schlager- und Popkultur und ist ein Seitenhieb auf ihr religiöses Hochfest. Er ist ein Abgesang auf die Popteufel Raab und Bohlen und die erschreckende Niveaulosigkeit dieses Genres. Jede Kultur hat eben die Macher, die sie verdient.
Wo die Sonne der Kultur niedrig scheint, werfen selbst Zwerge lange Schatten.
Tucholsky 
Der Artikel stammt vom Briten Mark Espiner. Espiner ist freier Kulturjournalist. Er lebt in Berlin und London, schreibt unter anderem für den "Guardian". (Fettdruck im Original):
Mögen die Deutschen noch so stolz sein auf den Akzent ihrer Kandidatin, die Wahrheit klingt anders: Lena mixt mutwillig und mies Dialekte und hört sich an wie ein schwedischer Sprachtherapeut, der Ali G. imitiert. Ohne Textblatt versteht man kein Wort, meint der britische Journalist Mark Espiner. 
Lenamania breitet sich aus. "Unser Star für Oslo" brachte das Virus in die Wohnzimmer Deutschlands. Und nun droht es auch noch den Rest Europas zu infizieren: Beim Eurovision Song Contest, dem kitschigsten und tuntigsten aller Wettbewerbe, der zudem ein Test dafür zu sein scheint, wie gut (oder wie schlecht) man auf dem Kontinent Englisch singt.
Seit Abba mit "Waterloo" triumphierte (und das mit einem fast perfekten Akzent), herrscht allerorts der feste Glaube, dass den Song Contest nur gewinnen kann, wer die Sprache ausgerechnet jenes Landes annimmt, in dem man sich standhaft weigert, jemals eine andere Sprache zu sprechen als Englisch. Vielleicht hilft das ja zu erklären, warum Lena das Herz der Deutschen erobert hat, obwohl sie doch in meiner Muttersprache singt.
Ganz im Gegensatz zu ihren eingefleischten Fans, die behaupten, ihr Akzent sei brillant, muss ich allerdings sagen: Lenas Englisch klingt wirklich, wirklich seltsam. Ihre Versuche, die von ihren Helden Adele und Amy Winehouse geliebte Straßensprache Londons zu übernehmen (die selbst wiederum ein Hybrid aus US-Slang, jamaikanischer Gangstersprache und dem Dialekt des East End ist), enden damit, dass sie sich anhört wie ein schwedischer Sprachtherapeut, der Ali G. imitiert.
"Oi don't give a shit" erklärt sie in "Love Me", und obwohl sie den Geruch von frischem Heu mag, wie sie uns in "Touch A New Day" erklärt, würde sie nicht "inhay it". Ich denke, sie meint inhale, ganz sicher allerdings bin ich mir nicht. 
Und dann sind da noch die Texte 
Lenas Akzent ist kein Mockney, also vorgetäuschter Londoner Arbeiterklassen-Cockney, den man zum Beispiel dem Blur-Sänger Damon Albarn vorgeworfen hat. Noch ist es das voll ausgeprägte "Jafakean", das künstliche Jamaikanisch, das man oft als den bevorzugten Slang jener Schüler, die gern so klingen wollen, als kämen sie von der Straße, auf den Oberdecks der Londoner Busse hört. 
Lena bedient sich in ihrem Sprachmix bei beidem und fügt einen Schuss seltsamer Euromischung hinzu, vermutlich etwas von ihrem Hannoverdeutsch, und etwas, das sich anhört wie Skandinavisch. Das Skandinavische immerhin könnte ein ausgeklügelter Plan sein, um die Osloer Massen für sich zu gewinnen.
Die falsch betonten Wörter selbst sind natürlich noch kein Verbrechen. Letzten Endes ist ja auch Björks Akzent etwas eigenwillig. Und das irische Geträller der Cranberries-Sängerin Dolores O'Riordan trug zu deren schrägen Liedern bei. Je länger ich darüber nachdenke: Sie klingt ein bisschen wie Lena. 
Ein Verbrechen aber ist, dass die Songs auf ihrem neuen Album ein zusammengeschustertes Potpourri aus der Musik von Adele, dem seelenlosen Soul von Amy Winehouse, Ersatz-R'n'B und Lily-Allens Plastik-Skapop sind, den sie auf ganz üble Weise kopiert. Das ist Imitation statt Innovation.
Und dann sind da noch die Songtexte. "Who took my cassette player?" fragt sie verzweifelt. Darauf kann ich nur antworten: Wer benutzt heutzutage noch einen Kassettenrekorder? 
"Kite-air-pillar" statt "caterpillar" 
"Satellite", der Song, der das Album eröffnet und sie zum Song Contest katapultiert hat, ist ähnlich mysteriös. Lenas Liebesbezeugung ist so seltsam, dass sie fast an Voodoo grenzt: Sie lässt das Licht am Eingang an! Trägt blaue Unterhosen! Und bemalt ihre Zehennägel! Ich bin wahrscheinlich nicht der Einzige, der um seine Sicherheit bangen würde, wenn er einer derart Besessenen zu nahe käme. Und die Ankündigung, das Eingangslicht anzulassen, würde man eher von seiner Mutter erwarten.
Lena kann allerdings auch ziemlich zerstörerisch sein. Der Beweis: Sie erklärt ganz offenherzig in "I Like To Bang My Head", dass sie es liebt, ihren Kopf anzuschlagen. Zusätzlich zu ihrem offen eingestandenen Faible für Heu versucht sie, gleich die ganze Natur zu umarmen, indem sie sich in "Bee" mit einer Biene vergleicht und in "Caterpillar In The Rain" beobachtet, wie es sich so als Raupe im Regen anfühlt, obwohl in ihrem Fall ein caterpillar aus irgendwelchen Gründen ein "Kite-air-pillar" ist - ich hatte Glück, dass ich die Texte zur Hand hatte, um vom Lenaglish ins Englische zu übersetzen.
Höchste Zeit also, um einmal über die Folgen der Lenamania nachzudenken: Tausende, vielleicht Millionen von deutschen Schulkindern werden von nun an ihre Englischstunden bei Lena nehmen - für die englischsprachige Welt werden sie so ebenso unverständlich wie Guido Westerwelle. 
Oh Germany, what have you done?
Foto: Spiegel

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