Samstag, 3. Juli 2010

Wann ist ein Mann ein Mann?

Wie der Verzehr von roher Schweineleber dein Leben verändert
Wer irgendwo dazugehören will, wo er noch nicht dazugehört, sollte sich das gut überlegen. Vielfach wird einem nämlich vor der Aufnahme in den Kreis der Auserwählten irgendetwas abgeschnitten. Oder man muss Dinge essen, die eigentlich kraft Gesetzes von Spezialfirmen entsorgt werden müssten. Oder die einem abgeschnitten wurden. Bei einem solchen Aufnahme- oder Initiationsritual geht es niemals darum, irgendwelche besonderen Fähigkeiten oder ein bestimmtes Können nachzuweisen. Sondern um die praktische Umsetzung dessen, was den Menschen vom Tier unterscheidet: die Freude an Erniedrigung, Angst und Schmerzen. Die Beschneidung ist keine Seepferdchen-Prüfung.
Deswegen kann man sich darauf im eigentlichen Sinne auch nicht vorbereiten. Das heißt – mitunter schon, wenn man nur ein frommes Liedchen singen oder irgendetwas geloben soll, das völlig harmlos ist, weil sich noch nie jemand daran gehalten hat. Das sind Initiationsriten, die üblicherweise ohne Verstümmlungen mit Todesfolge auskommen, etwa die Taufe, die Konfirmation oder die gute alte Jugendweihe, wo von der Feier danach die weitaus größeren Gesundheitsrisiken ausgehen. 
In ganz übler Erinnerung hat man im Osten Deutschlands die sogenannten Neptunfeste in den dem stalinistischen Gulag-System nachempfundenen Kinderferienlagern. Zur sogenannten Taufe hetzten Neptun und seine Häscher, zumeist Erzieher männlichen Geschlechts, die in Badebekleidung vor sich hinzitternden Taufkandidaten erst durchs Lager, flößten ihnen, waren sie ihrer habhaft geworden, eine widerliche Flüssigkeit (kalte Gräupchensuppe, warme Club-Cola) ein und warfen sie dann in irgendein in der Nähe ansässiges Gewässer. War natürlich nur Spaß, und – jetzt mal als Helfer gesprochen – eine gute Gelegenheit, den Mädchen aus der großen Gruppe mal straffrei an den Busen zu fassen. 
Nun ist es natürlich so, dass bestimmte Bräuche nur noch in zivilisatorisch unterentwickelten Regionen der Welt gepflegt werden, etwa in Bayern. Das Abfüllen der Kandidatenmit Frostschutzmitteln und Terpentin, das Verspeisen von tierischen Innereien und Restmüll, das Einführen von lustigem Federschmuck und funktionsfähigen Wühlmausbekämpfungspatronen in Körperöffnungen sowie das Bewerfen mit Exkrementen–das alles ist zutiefst menschenverachtend, aber ethnologisch nicht uninteressant. Die Gebirgsjäger im bayerischen Mittenwald zum Beispiel bereiten sich so auf ihre Auslandseinsätze vor, bei denen es ja nicht nur darum geht, sich beim Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages darüber zu beschweren, dass es in den dortigen Unterkünften zu wenig Computerspiele gibt. Sondern auch darum, diesen Affenghanen mal zu zeigen, was Kultur ist. 
Dass der heutige Bundesverteidigungsminister ebendort seinen Wehrdienst ableistete und sich partout nicht an die Feder im eigenen hochwohlgeborenen von und- zu-Bürzel zu erinnern vermag, zeugt keineswegs von einem schlechten Gedächtnis. Sondern davon, dass der Anwärterstatus in traditionellen Männerbünden nichts ist, was man in seiner Vita gewinnbringend hervorheben könnte. Da ist nichts, worauf man stolz sein müsste. Als zuständiger Minister hat man schließlich nicht nur unsere Freiheit am Hindukusch zu verteidigen, sondern auch seinen ganz persönlichen guten Ruf. Da muss man aufpassen. Ein blödes Foto – nackt, besoffen und im stabilen Vier-Fuß-Stand – genügt, und die ganze Pomade war umsonst. Die einzigen Bundespolitiker, deren Ansehen durch so etwas keinen Schaden mehr nähme, sind Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle und sein Schwesterle, der Bundesaußenclown. Bei denen dürfte sich die Frage nach kompromittierendem Alt-Material aber nicht stellen, weil sie es wahrscheinlich noch niemals irgendwo auch nur zum Kandidatenstatus gebracht haben. 
Was hat eigentlich der Anwärter, der Frischling, der Fux von Erniedrigungsritualen wie Äquatortaufe, dem Verspeisen roher Leber oder der Ersten Juristischen Staatsprüfung? – Hat er’s überstanden, wechselt er die Seiten, und kann beim nächsten Mal seine Erfahrungen an die Jüngeren weitergeben bzw. an ihnen ausprobieren und gegebenenfalls verfeinern. Denn auch hier gilt: Wie du mir, so ich dem nächsten! 
Deutlich softer als beim Militär, bei den schlagenden Verbindungen und den Hardcore-Religionen, wo man nicht glauben darf, sondern muss, geht es in der modernen Männerbewegung zu. Dort ist ein regelrechter Initiations-Boom zu beobachten, seit man weiß, dass der Mann der Problemfall – sozusagen das Creutzfeldt-Jakob-Prion – unter den Menschen ist. Dabei geht es zu wie im Bioladen: Besonders gut geht alles, wo Urkraft, Element oder Natur draufsteht und man irgendwie nackig sein kann. Der Weg zum Mannsein heute führt über das Mannsein gestern, über den Archetypus des Königs und des Kriegers, über Feuer, Erde und Luft sowie über die Kontoverbindung des jeweiligen Coaches, wie sich der im Bereich des gewerbsmäßigen Schamanismus tätige Freiberufler heute nennt. 
Besonderer Beliebtheit scheint sich der Schwitzhüttenbesuch zu erfreuen, eine Art esoterische Zeltsauna vor Bergkulisse. Die Gründe für diese Beliebtheit liegen auf der Hand: Man muss sich nicht groß anstrengen, kann mal für ein Wochenende von der Familie weg und hat hinterher ein tieferes Wissen, ein Irgendwie-Wissen, ganz tief drinnen. Wie dieses Wissen genau aussieht, kann man offenbar nicht wissen, allenfalls fühlen – Stichworte sind: Urkraft, Element, Natur. Und Durst, den man nach einem gewöhnlichen Saunabesuch zwar auch hat, der aber genauso alt ist wie Feuer, Erde und Luft, und manchmal sogar stärker. 
Nachgebildet sind Schwitzhütten- Sitzungen einem alten Indianer- Brauch, wo so etwas zu den Sieben Riten der Heiligen Pfeife zählt. Da macht man schon des Namens wegen gerne mit. Und hockt dann im Kreis, dankt, schwitzt, pfeift und betet. Nicht nach Mönchsart »Ora et labora!«, also »Bete und arbeite!«, sondern »Ora et schwitzora!« Am Ende ist das Feuer aus, und man kann seine Mitmenschen mit »Solange der Adler fliegt, lebt diese Welt!«, »Nach dem Spiel ist vor dem Spiel!«, »Wir feiern die ganze Nacht, die ganze Nacht!« und weiteren indianischen Weisheiten verblüffen. Denn wenn man als Mann eine neue Stufe erreicht hat, sollen die anderen schließlich auch was davon haben.
Quelle: Robert Niemann (Eulenspiegel)

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